Bei einer meiner Fotoreisen durch Namibia besuchte ich, wie vermutlich die meisten Touristen, auch die Namib-Wüste. Riesige und farbgewaltige Sanddünen verleihen dieser Landschaft bei Sonnenauf- und -untergang ihren besonderen Reiz. Für viele Naturfotografen ist die Namib-Wüste das, was Mekka für die Muslime darstellt. Man muss in seinem Leben mindestens einmal dort gewesen sein. Dieses Gebiet ist so unberührt, ruhig und einzigartig schön, dass man das Gefühl bekommt, sich dort gut mit dem »Schöpfer« unterhalten zu können. Eine Landschaft, die zu Meditation und Gelassenheit einlädt. Während meiner Fotoreise übernachtete ich auf verschiedenen Campingplätzen, die entlang der Hauptreiseroute lagen. Eines Tages entdeckte ich eine äußerst schmale Sandpiste mit dem Hinweis, dass am Ende ein Campingplatz existierte. Als ich den schlechten Zustand dieser Straße sah, wusste ich, dass es dort richtig einsam sein würde, weil die meisten Touristen sich nicht zutrauten, dorthin zu fahren. Und so war es auch!
Ein langer und schwer befahrbarer Weg führte mich zu einem kleinen Gebäude, das umzäunt war. Das Haus hatte eine sehr interessante Lage in einem Tal. Auf seiner linken Seite befanden sich hinter einer schmalen, etwa einen Kilometer entfernten Gebirgskette wunderschöne Sanddünen und auf der rechten Seite Berge, soweit das Auge reichte. Es gab einen kleinen Swimmingpool und drei Stellplätze für Zelte. Das war’s.
Als ich das sah, war ich begeistert und freute mich darauf, in Ruhe fotografieren zu können. Ich meldete mich bei den Eigentümern, um mich für einige Tage dort einzuquartieren.
Wie fast überall in Afrika, wurde ich auch hier herzlich empfangen und vom Besitzer, der meinte, dass dies der schönste Campingplatz der Welt sei, eingewiesen. Er warnte mich allerdings, nachts das Zelt nicht zu verlassen, da ein Leopardenmännchen gelegentlich bei seinen nächtlichen Streifzügen auch am Campingplatz vorbeikäme. Seine Spuren wurden regelmäßig auf dem Grundstück entdeckt. Er bat mich außerdem, mich vor den vielen Giftschlangen in Acht zu nehmen, die gut getarnt sind und einen das Leben kosten können, wenn man sie nicht rechtzeitig wahrnimmt und ihnen zu nahekommt. Das nächste Krankenhaus war mehrere Hundert Kilometer entfernt und nur über eine Schotterstraße zu erreichen, die sich in einem miserablen Zustand befand. Das hieß im Klartext: Bei einem Giftschlangenbiss hatte man wenig Überlebenschancen.
Neben seiner Warnung vor Leoparden und Schlangen wies er mich auf eine weitere, sehr ungewöhnliche Gefahrenquelle hin: Seit Längerem suchte eine verhaltensgestörte Oryxantilope immer wieder den Campingplatz auf. Die Antilope war regelmäßig zum Haus gekommen, um die Grünpflanzen zu fressen, die im Garten wuchsen. Deswegen hatten die Besitzer einen Zaun aufgestellt, um den Garten und auch sich selbst zu schützen, denn die Antilope zeigte sich äußerst aggressiv und attackierte sogar Menschen. Im vergangenen Jahr hatte es bereits einen tragischen Unfall mit einer anderen Oryxantilope, die sich ebenfalls auf dem Gelände herumgetrieben hatte, gegeben. Ein russischer Tourist hatte mit seiner Begleitung die Warnungen der Familie ignoriert und versucht, Nahaufnahmen von der Antilope zu machen. Plötzlich ging diese auf den Russen los, rammte ihm eines ihrer spitzen Hörner, die über einen Meter lang werden können, in den Bauch und durchbohrte ihn damit. Der Tourist war tot, hing aber an den Hörnern der Antilope fest, sodass das Tier nicht wegkonnte. Der Eigentümer des Campingplatzes musste die Antilope erschießen, um den Toten von den Hörnern abnehmen zu können.
Wie gefährlich eine Begegnung mit der Oryxantilope werden konnte, musste ich gleich am nächsten Tag selbst feststellen. Während ich vor meinem Zelt saß, die Einsamkeit genoss und die meditative Ruhe auf mich wirken ließ, sah ich, dass besagte Antilope in Richtung Camp kam. Schnell leistete ich dem Rat des Eigentümers, für den Fall, dass die Antilope auftauchen sollte, Folge und ging ins Haus.
Das Tier kam direkt zum Zaun und sprang ohne jegliche Mühe darüber hinweg, in den Garten, wo es begann, sich den Bauch mit frischem Grün vollzuschlagen. Der Zaun war absolut nutzlos. Für die Antilope stellte der Garten eine Oase in der Wüste, einen gedeckten Tisch in der kargen Landschaft dar. Oryxantilopen sind normalerweise in kleinen Herden unterwegs. Die Tatsache, dass dieser »Einbrecher« immer allein auftauchte, machte es noch deutlicher, dass mit ihm irgendetwas nicht stimmen konnte.
Der verärgerte Campingplatzeigentümer und ich schauten aus dem Fenster und beobachteten, wie die Antilope die Beete aberntete. Plötzlich kam dem Eigentümer eine Idee. Er wollte versuchen, mit einem plötzlichen und lauten Angriff die Antilope so zu erschrecken, dass sie vor Angst wegrannte und nicht wieder zurückkam. Ich willigte ein, ihm zu helfen, und so rannten wir laut schreiend aus dem Haus und hinter der Antilope, die die Flucht ergriff, her. Nachdem das Tier erst direkt in den Zaun lief und stürzte, stand es wieder auf, sprang über den Stahldraht hinweg und lief einige Meter weiter. Wir machten das Tor auf und vertrieben es Steine werfend und laut brüllend.
Plötzlich jedoch drehte die Antilope den Spieß um und kam auf uns zugerannt! Wir waren bereits so weit vom Haus entfernt, dass sie uns mühelos einholen konnte, bevor wir die sicheren vier Wände erreichten. Panik befiel uns und ich dachte, dass die Antilope doch raffinierter war, als wir vermutet hatten. Sie hatte uns in eine Falle gelockt.
Um nicht von der Oryxantilope attackiert zu werden, war es wichtig, nicht die Beherrschung zu verlieren und weiterhin Stärke zu demonstrieren. Das hatte mir bereits früher oft in ähnlich gefährlichen Situationen geholfen.
Während die Antilope immer wieder Scheinattacken ausführte, griffen wir zu Steinen und warfen diese auf sie. Dabei zogen wir uns langsam ins Haus zurück. Als wir wieder aus dem Fenster sahen, stand die zornige Antilope vor dem Garten und hieb aus Ärger mit ihren Hörnern auf den Zaun ein. Sie war beängstigend aggressiv und ließ ihre Wut an dem Stahldraht aus. In dem Moment hoffte ich nur, dass sie nicht meinen Mietwagen oder das Zelt entdeckte. Minutenlang bearbeitete die Oryxantilope den Zaun, bevor sie sich zurückzog. Erst da trauten wir uns wieder aus dem Haus, um uns den Schaden anzusehen. Der demolierte Zaun machte sichtbar, mit welcher Kraft die Antilope zugeschlagen hatte.
Nach diesem Schock musste ich mich erst ein wenig erholen, bevor ich am späten Nachmittag mit frischer Energie zu den Sanddünen aufbrach, die ich bei untergehender Sonne fotografieren wollte. Als die Sonne mit ihrem schräg einfallenden Licht die Landschaft mit einem gelborangenen Zauber belegte, war ich wieder unterwegs.
Um zu den Dünen zu gelangen, musste ich zuerst einen Berg hochklettern. Kameratasche und Stativ hatte ich mir auf den Rücken geschnallt. Nach einiger Zeit stand ich plötzlich vor einer riesigen senkrechten Steilwand. Ab hier ging es nicht mehr weiter nach oben, daher lief ich noch über eine Stunde die Wand entlang, in der Hoffnung, einen Weg zu finden, der mich auf den Berg hinaufführen würde. Der Campingplatz war jetzt nur noch mit dem Fernglas zu erkennen. Die äußerst porösen Granitsteine des Berges brachen immer wieder unter meinen Füßen weg und machten das Wandern nicht nur anstrengend, sondern auch gefährlich. Ein Absturz hätte mich das Leben kosten können. Zumal ich in einer gottverlassenen Gegend völlig allein unterwegs war.
Irgendwann kam ich an eine Stelle, an der es nur noch einige Hundert Meter senkrecht nach unten oder senkrecht nach oben ging. Dazwischen war eine Abbruchkante, die bis zur Spitze des Berges führte. Diese Kante war etwa so breit, wie mein Fuß lang war. Ich überlegte kurz und entschloss mich mit klopfendem Herzen weiterzugehen. Ohne meine Bilder aufgenommen zu haben, wollte ich nicht zurück. Für mich war dieser Moment eine Herausforderung, meine Grenzen zu überschreiten und das scheinbar Unmögliche möglich zu machen. Also band ich meine Fotoausrüstung und das Stativ ganz fest an meinen Rücken, damit sie nicht hin und her baumeln und mich aus dem Gleichgewicht bringen konnten. Ich holte tief Luft, schmiegte mich mit der Brust an die Steilwand, streckte meine Arme aus, um Halt an der Wand zu suchen, und setzte einen Fuß nach dem anderen auf die Abbruchkante. Körperlich war dies mit Sicherheit eine Grenzerfahrung für mich, obwohl ich damals topfit war. Zusätzlich zu der Anspannung, die jeden Menschen in einer Angstsituation befällt und die zu Muskelschmerzen führt, musste ich nun Muskeln beanspruchen, die ich vorher nie trainiert hatte und von denen ich nicht einmal wusste, dass sie überhaupt existierten. Als ich die Hälfte der Steilwand hinter mir hatte, bekam ich sowohl in den Armen als auch in den Beinen einen Krampf. Ich hatte unvorstellbare Schmerzen, die meinen Körper zum Zittern brachten. Nun war ich am Ende meiner Kräfte. Ich konnte weder vorwärts noch rückwärts. Mit einem Blick nach unten sah ich, dass ich bei einem Absturz kaum Überlebenschancen gehabt hätte. Also versuchte ich, nicht in Panik auszubrechen und mich durchzubeißen. Ich hielt mich so eng wie möglich an der Wand und ließ die Arme hängen. Blut durchströmte sie, das Leben kehrte wieder in sie zurück und nach ein paar Minuten vergingen die Schmerzen. Meine Beine taten jedoch noch immer sehr weh. Ich hielt mich jetzt mit den Händen an der Wand fest und entlastete abwechselnd meine Füße, was mir Linderung brachte und mir die Hoffnung gab, dass ich den Rest des Weges auch noch schaffen würde. Ich mobilisierte meine Kräfte erneut und setzte wieder einen Fuß vor den anderen, bis ich schließlich die Bergspitze erreichte. Mit geschwollener Brust und schmerzenden Gliedern erlebte ich einen Moment des persönlichen Triumphs.
Allerdings hatte diese gefährliche Aktion bereits so viel Zeit in Anspruch genommen, dass die Sonne fast untergegangen war, als ich beginnen wollte zu fotografieren. Ich konnte nur noch ein paar Bilder aufnehmen, bevor die Sonne ganz verschwunden war. Nun stand ich vor diesen wunderschönen Dünen, betrachtete die Unberührtheit der Wüste und fragte mich, wie zum Teufel ich den Berg wieder hinunterkommen wollte.
Eines war sicher: Den Weg, den ich gekommen war, würde ich nicht zurückgehen! In den letzten Lichtstrahlen konnte ich von meinem Standpunkt aus sehen, dass der Berg in die entgegengesetzte Richtung wesentlich flacher ins Tal abfiel. Ein einfacherer Weg, der allerdings sehr weit war. Ich machte mich mit dem Gedanken vertraut, in der kommenden Nacht eine lange Wanderung zu meistern, und marschierte los.
Der weite Weg machte mir keine großen Sorgen, da ich von früheren Expeditionen her wusste, dass ich ohne Probleme viele Kilometer laufen kann. Was die Sache jedoch gruselig gestaltete, waren die Tiere, vor denen ich gewarnt worden war. Leoparden gehen in der Dämmerung und in der Nacht auf die Jagd. Sie sehen in der Dunkelheit sechs Mal besser als wir Menschen und sind hervorragende Jäger und mit Abstand die gefährlichsten Raubkatzen der Welt, weil sie völlig unberechenbar sind.
Hinzu kamen die Giftschlangen, die gut getarnt waren. Schon tagsüber hatte man große Schwierigkeiten, z.B. eine Puffotter auf dem Boden auszumachen. Mir war klar, dass es in der Dunkelheit völlig unmöglich sein würde, diese nachtaktiven Tiere zu entdecken. Die Puffotter ist die bekannteste und gefährlichste Giftschlangenart auf dem gesamten afrikanischen Kontinent. Sie erreicht eine Länge von bis zu eineinhalb Metern. Ihre Giftzähne werden bis zu dreieinhalb Zentimeter lang und können ihr starkes und schnell wirkendes Gift tief in die Wunde des Opfers einspritzen. Durch den Biss mit den riesigen Giftzähnen schmerzt die Wunde unheimlich, so als bekäme man zwei Nägel tief ins Fleisch getrieben. Das Gift verursacht erst einen Kreislaufschock, der bereits tödlich enden kann, dann greift es das Gewebe an und beginnt, dieses zu zersetzen – ein qualvoller Tod!
Was mir außerdem Sorgen bereitete, war die verhaltensgestörte Oryxantilope, die mir jederzeit über den Weg laufen konnte. In meiner Fantasie ging ich sämtliche Horrorszenarien einer Konfrontation durch. Notfallpläne mussten erstellt werden, für den Fall, dass ich von einem dieser Tiere attackiert werden sollte.
Beim Leoparden und der Antilope würden, wenn überhaupt, nur lautes Schreien und das Werfen mit Steinen helfen. Vorausgesetzt, ich hätte sie gesehen, bevor sie die kritische Mindestgrenze unterschritten. Deswegen stopfte ich meine Hosentaschen und meine Fotoweste mit faustgroßen Steinen voll und trug zwei abwurfbereit in jeder Hand.
Was eine Giftschlangen-Attacke betraf, war die Situation noch aussichtsloser. Ich hatte kein Antiserum oder Verbandsmaterial dabei und dadurch, dass ich allein unterwegs war, gab es niemanden, der im Ernstfall hätte Hilfe holen können.
Mit diesen nicht allzu aufbauenden Gedanken marschierte ich Schritt für Schritt in das Tal hinab. Irgendwann, als es bereits ganz dunkel war, kam ich endlich unten an. Nun musste ich durch die Trockensteppe weiter wandern, entlang der Dünen und der Berge, den ganzen Weg zurück. Von da an stieg die Wahrscheinlichkeit, gefährlichen Tieren zu begegnen. Am Rande eines ausgetrockneten Flussbetts gab es kleine Büsche und Gräser, die als Nahrungsquelle für verschiedene Tiere dienten. Unterschiedlich große Felsen in der Ebene konnten Jägern wie dem Leoparden Versteckmöglichkeiten bieten. Also musste ich nun noch besser aufpassen. Während ich vorsichtig weiterlief, versuchte ich, sowohl meine Augen als auch meine Ohren zu schärfen, um eventuelle Gefahren frühzeitig zu erkennen. Obwohl ich müde war und mir sämtliche Muskeln wehtaten, lief ich unbeirrt und relativ zügig weiter.
Stundenlang wanderte ich so, ohne eine Pause zu machen, bis ich endlich ein Licht in der Feme sah. Hoffnung! Da es ansonsten keine anderen Siedlungen in der Nähe gab, wusste ich, dass es das Licht des Campingplatzes sein musste, das über Nacht immer eingeschaltet blieb. Es war zwar noch ein ganzes Stück bis dahin, aber ich gewann neue Kraft, um weiterzulaufen. Es ist erstaunlich, was die richtige Motivation alles bewirken kann. In den frühen Morgenstunden erreichte ich dann endlich total ausgepowert, aber unversehrt mein Zelt. Bevor ich mich schlafen legte, trank ich nur noch etwas Wasser. Ich war so übermüdet, dass mich meine Muskelschmerzen gar nicht lang quälten, innerhalb weniger Sekunden war ich eingeschlafen.
Ich verlebte eine wunderbare und unvergessliche Zeit in der Wüste und testete nicht nur meine körperlichen Grenzen, sondern entdeckte auch die wilde Schönheit und die Einzigartigkeit dieser kargen Landschaft. Eine Besonderheit dieses Ortes ist die Stille. Die vollkommene Stille! Einmal saß ich auf einer Düne und schaute mir die wunderschönen Sandberge an. Sie schimmerten in verschiedenen Ockertönen im Morgenlicht und verzauberten die Landschaft durch ihre angenehm warmen Farben. Während ich dabei war, diese wunderbare Szenerie zu genießen, stellte ich ein unbekanntes Gefühl bei mir fest. Zuerst war es unangenehm und beunruhigend, denn ich dachte, irgendetwas würde nicht stimmen: Ich konnte nichts hören – absolut gar nichts! Dann klatschte ich in meine Hände und merkte, dass ich doch noch hören konnte. Ich wartete eine Weile – und hörte wieder nichts. Wenn kein Wind weht und sich keine Zivilisation in der Nähe befindet, ist in der Wüste kein Geräusch zu hören. Es gibt dort keine Straßen, keine Menschen und extrem wenig Tiere. So still muss es auf dem Mond sein. Nachdem ich das kapiert hatte, fing ich an, diesen Zustand zu genießen. Es war für mich eine völlig neue Erfahrung. Zwar war ich zuvor schon in zahlreichen einsamen Gegenden gewesen, wo ich der einzige Mensch weit und breit war, aber diese totale Stille hatte ich bisher noch nie erlebt.
Kurzum, es war eine außergewöhnlich schöne Erfahrung und ich kann jedem nur empfehlen, die Wunder der Wüste zu entdecken!
Hier zeige ich Euch einige Bilder zu dieser Geschichten und einige weitere Fotos aus dieser wunderschönen Wüste, die in den letzten Jahren auf meinen Fotoreisen entstanden sind.