
Von Benny aus Lissabon

In den Gassen Lissabons, wo die Mauern Geschichten flüstern und der Wind den Staub vergangener Jahrhunderte aufwirbelt, ziehe ich meine Schritte durch die Zeit. Alte Burgen, steinerne Zeugen von Blut und Macht, stehen unnachgiebig in der Landschaft – wie Mahnmale einer Epoche, die nie wirklich zur Ruhe kam.
Krieg, Hunger, Krankheit – sie waren die ständigen Schatten im Licht der Menschheit und zwar seitdem es uns auf der Erde gibt. Kein Kontinent, keine Kultur blieb verschont. Und doch: Wenn wir mit wachen Augen in die Vergangenheit schauen – oder wie ich sie nenne, die Gesichtsbücher der Menschheit – blicken, erkennen wir: So friedlich und wohlhabend wie heute war unsere Welt noch nie.
Gewiss, es gibt auch jetzt noch Orte voller Leid, Krieg und Unrecht. Aber im großen Ganzen lebt die Mehrheit der Menschheit heute in einem Zustand, den unsere Vorfahren für ein Märchen gehalten hätten: Wir haben ein Dach über dem Kopf, sauberes Wasser im Hahn, Supermärkte voller Fülle, und wenn wir nachts schlafen, fällt keine Bombe vom Himmel – sondern vielleicht ein Traum auf unser Kissen.
Zum ersten Mal in unserer Geschichte werden wir davon Krank, dass wir viel zu viel essen.
Ich reise nun seit über drei Jahrzehnten durch die Länder dieser Erde. Und überall begegnet mir dasselbe Echo: Burgen, Schlösser, Festungen – erbaut, um sich zu schützen oder Verteidigen. Vor dem Anderen. Vor dem Fremden. Vor dem Krieg. Der Frieden, so scheint es, war stets nur eine Pause zwischen zwei Schüssen.
Auch hier in Portugal – die Geschichte dieses Landes ist keine Ausnahme. Ein Kaleidoskop aus Eroberungen, Schlachten, Seefahrern und verlorenen Imperien. Und doch sitze ich heute hier, mit einem Glas Wasser in der Sonne, und denke: Wie schön, dass ich gerade jetzt lebe.
Es ist eine stille Dankbarkeit, die sich in mir breitmacht – nicht triumphierend, sondern demütig. Ich bedaure zutiefst, dass nicht alle Menschen an diesem relativen Frieden teilhaben. Aber ich freue mich für die Menschheit, dass es heute mehr Kinder gibt, die zur Schule gehen, als Soldaten, die in den Krieg ziehen.
Und genau hier berührt sich meine Leidenschaft für Philosophie und Geschichte: Wer die Gegenwart verstehen will, muss zurückblicken. Wer verstehen will, warum wir Glück haben, muss erkennen, wie unglücklich die Welt einst war.
Doch Vorsicht: Dieses Glück ist zerbrechlich. Die Demokratie, unser zartes Schutzschild gegen den Wahnsinn, ist kein Naturgesetz. Sie kann verschwinden – schleichend, über Nacht, mit einem falschen Kreuz auf einem Wahlzettel.
Ein zu starker Rechtsruck, gespeist von Ignoranz oder Angst, kann all das, was wir heute für selbstverständlich halten, in Rauch auflösen. Die Populisten und Nationalisten dieser Zeit hantieren mit Brandbeschleunigern – und ihre Anhänger sind allzu oft jene, die von der Geschichte nichts wissen oder nichts gelernt haben.
Dieser Artikel ist ein stilles Gebet der Dankbarkeit. Und zugleich eine Warnung. Denn wer nicht wach bleibt, verschläft nicht nur den Sonnenaufgang – sondern manchmal auch den letzten Moment des Friedens.
Herzliche Grüße
Benny aus Lissabon